Als Choreograf erarbeitet Alex Baczyński-Jenkins kontinuierlich ein Bewegungsvokabular, das die Bandbreite queeren Lebens erforscht. Als Künstler und Kulturschaffender untersucht er das politische Potenzial von Lust und Kollektivität. Ein sensibles Gesellschaftsbewusstsein steht im Zentrum seiner Praxis und zeigt sich beispielsweise in Baczyński-Jenkins’ Rolle als Mitbegründer des in Warschau ansässigen queer-feministischen Kollektivs Kem, das neue Ansätze für Choreografie, Performance, Sound und Sozialpraxis erprobt.
Baczyński-Jenkins macht körperliche Realität und ihre ephemeren Facetten zum Schauplatz seiner Darstellungen. Er nutzt verschiedene choreografische Mittel, um Nuancen wechselseitiger Abhängigkeiten in besser wahrnehmbare und materielle Formen zu überführen. Begierde ist ein transformatives Erlebnis und Baczyński-Jenkins ist daran interessiert, ihre verschlungenen Verläufe zu erforschen. 2019 zeigte der Künstler eine Einzelausstellung mit dem Titel Such Feeling in der Kunsthalle Basel, in dessen Rahmen er drei zwischen 2014 und 2018 entstandene Performances präsentierte. Untitled (Holding Horizon) (2018) zeigte fünf Tänzer:innen, deren synchrone, auf dem Box-Step basierende Bewegungen eine Auseinandersetzung zwischen individuellem Verlangen und Kollektivität anregten. Musik und Lichtdesign des Stücks folgten den sich bewegenden Körpern; die Performer:innen beeinflussten die sich verändernden Klänge und Lichter und wurden gleichzeitig selbst von ihnen beeinflusst. Die Klanglandschaft des Werks weckte Assoziationen, die zwischen pastoral-romantischer Science-Fiction und Erinnerungen an Rave-Nächte changierten und schließlich die schillernde Intimität und Energie eines Clubs einfingen. Das polyphone Werk Untitled (Holding Horizon), das die Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit testet, ist eine Fortsetzung von Baczyński-Jenkins’ phänomenologischer Untersuchung von Desorientierung und Freundschaft.
Baczyński-Jenkins erforscht zudem, auf welche Weise das Medium Video als Mittel für eine soziale Choreografie dienen kann. Für seinen ersten Film, Faggots, Friends (2019), wählte der Künstler einen essayistischen Stil, der fiktionale Szenen mit dokumentarischem Filmmaterial verknüpft. Szenen von Freundschaft und Freizeit werden mit Bildern des ersten LGBTQ-Pride-Marsches in Białystok im Jahr 2019 versetzt, der mit gewalttätigen und rechtsgesinnten Gegenprotesten einherging. Der Film betont alternative Formen des Lebens und des Zusammenseins. Er erforscht, wie sich Intimität, Fürsorge und Kollektivität in queeren Gemeinschaften manifestieren, und implementiert den Begriff des queeren Zuhauses: als ein Aufbruchsort, Ort gemeinsamer Orientierungslosigkeit, als Erfahrung des Fremdseins und gleichzeitig als Zielort selbst. Wie Baczyński-Jenkins erklärt: “spricht das Werk durch und entlang dieser Beziehungen. Es verkörpert eine seltsame Überlagerung von Zeit und Aufmerksamkeit, durch die sich intime Beziehungen entwickeln können”. Der Titel des Films geht auf ein Gedicht von Ezra Green aus dem Jahr 2018 sowie auf Larry Mitchells bahnbrechendes Buch von 1977 zurück, beides literarische Berührungspunkte, die eine Kontinuität im Kampf für queere Rechte darstellen. Gegen Ende des Films tanzen drei Protagonist:innen an einem schlammigen Flussufer, welches als Cruising-Ort bekannt ist. Die Szene verweist auf die größeren politischen Herausforderungen, die Baczyński-Jenkins’ Werk rahmen, und untersucht das kreative Potenzial von Queerness in Zeiten seiner Gefährdung.
Während seines Aufenthalts bei Callie’s konzipierte und probte Baczyński-Jenkins sein neues Werk Unending love, or love dies, on repeat like it’s endless (2021), das sich mit Orientierungslosigkeit, Verlust, Feierlichkeit und hybriden Zeitlichkeiten wie ekstatischer Freude und Trauer auseinandersetzt. Das Werk wurde im August 2021 in der Klosterruine in Berlin uraufgeführt. Während seiner Residency bereitete Baczyński-Jenkins außerdem die erste Iteration der Kem School vor - einem neuen, vom Kem Collective initiierten Studienprogramm in Warschau - mit dem Titel: How to touch movement? Social choreographies, performance and queer feminisms as world-making.