Die Lyrikerin Patty Nash überführt in ihrem formal vielseitigen Werk Mythos und Erinnerung in prismatische, fragmentierte Erzählungen. Ihre Gedichte bewegen sich zwischen unterschiedlichen Sprachregistern, von dialogbasierten oder erzählerischen bis hin zu eher indirekten Ausdrucksformen, und knüpfen sowohl popkulturelle als auch literarische Referenzen. Nash studierte am renommierten Iowa Writers’ Workshop an der University of Iowa; dort absolvierte sie zwei MFAs, zunächst in Literarischer Übersetzung und anschließend in Lyrik. „Obwohl ich selbst übersetze, halte ich Übersetzung im Grunde für unmöglich – ein utopischer Versuch, Erfahrungen durch Zeit und Raum zu transportieren – und doch ist mir an sich klar, dass der kommunikative Aspekt von Übersetzung sehr wohl möglich ist.“ Im Gegenzug betont Nashs eigene lyrische Praxis gerade die inhärente Fluidität von Sprache und spürt Momenten des Missverständnisses oder der Fehlinterpretation nach.
Nashs Gedichte wurden in angesehenen Zeitschriften wie jubilat, West Branch und Denver Quarterly veröffentlicht. Im Jahr 2021 begann sie mit der Arbeit an Walden Pond, einem Gedicht in Buchlänge, das Henry David Thoreau zum Ausgangspunkt nimmt. In Thoreaus 1854 veröffentlichtem Buch Walden beschreibt er seine Erfahrungen in einer abgelegenen Hütte in der Nähe von Concord, Massachusetts. Verfasst über einen Zeitraum zwei Jahren, zwei Monaten und zwei Tagen, gilt Walden als Ode an die Natur, an ein selbstbestimmtes Leben und an spirituelle Transzendenz. Nashs Walden Pond hinterfragt eben jenes Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, das seit der Veröffentlichung von Walden im kollektiven Gedächtnis der USA fortlebt. Durch die Auseinandersetzung mit dem Banalen verleiht Nash unserer krisenhaften Gegenwart unerwartete Schönheit und Humor. Das Buch fasziniert durch seinen sich stets wandelnden Stil und den subtilen Wechsel von Tonlagen und Klangfarben. Nash vertraut sich Leser:innen an, reflektiert und erzählt Geschichten, die sich immer wieder überschneiden. Ihr episodenhafter Ansatz schlägt sich auch auf den einzelnen Buchseiten nieder, wenn sie diverse Gedichtformen kombiniert. Mit hellsichtiger Ironie führt Nash ihre Leser:innen etwa vom Nachsinnen über einen entwendeten Geldbeutel zu einer Diskussion über das Wesen kriminellen Handelns und legt dabei die unauflösbare Beziehung zwischen Erfahrungen, Gefühlen und Ideen frei.
Nash publiziert regelmäßig in einer Reihe von Zeitschriften; sie schreibt sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch. In ihrem 2021 erschienenen Essay Chain of Sayings: On Paul Celan’s ‘I heard it said’, das in der Literaturzeitschrift Annulet veröffentlicht wurde, setzte sich Nash mit dem Vermächtnis des deutschsprachigen jüdischen Dichters Paul Celan auseinander. Als Überlebender der Nazizeit war Celan Zeuge, wie Sprache genutzt wurde, um die Machenschaften eines Regimes zu verschleiern, das währenddessen Völkermord beging. In einer sorgfältigen Analyse von Celans Gedicht Ich hörte sagen, zeichnet Nash seine Auseinandersetzung mit den unaussprechlichen, verborgenen Aspekten von Sprache nach. Nash kommt zu dem Schluss, dass Celans Werk ein Beweis dafür ist, wie Sprache von großen historischen Momenten und dem begrenzten Umfang des täglichen Sprechens gleichermaßen beeinflusst wird.
Im Jahr 2021 nahm Nash an einem von Callie’s und a.p. organisierten Lyrik-Workshop teil, der von Dichterin und Callie’s-Resident Tracy Fuad konzipiert und geleitet wurde. Die Gruppe traf sich wöchentlich, um sich kritisch mit den Texten der anderen Teilnehmer:innen auseinanderzusetzen, Feedback zu geben, die Arbeiten zu analysieren und neue Werke auszutauschen.
Während ihrer Reesidency bei Callie’s im Jahr 2022 setzte Nash ihre Arbeit an Walden Pond fort.